Abtei St. Hildegard

Ein idyllisch gelegener Ort im romantischen Rheingau

Fotos und Text © Michael Metzger, 2022.


„In der Sonne erscheint auch der Löwe, gleichsam in der Tiefe des Geheimnisses Gottes verborgen, um dennoch alles zu überstrahlen, was wiederum jenes Wunder bedeutet, daß Gott Mensch werden wollte. Denn der Sohn Gottes, der aus der jungfräulichen Materie Fleisch annahm, erschien in der höchsten Kraft der Gottheit als ein löwenstarker Mann und ging so auf jenem anderen Wege hervor, auf dem kein Mensch außer ihm allein erfunden wurde.“

– Hildegard von Bingen

Aus dem Liber vitae meritorum

Innenhof der Abtei St. Hildegard

Das zu Beginn eingefügte Zitat entstammt einer der berühmten und nicht unumstrittenen Visionen der Heiligen Hildegard von Bingen. Diese brachte sie im 12. Jahrhundert zu Papier und veröffentlichte sie schließlich mit Erlaubnis des damaligen Papstes.

Noch heute kann man sich in Rüdesheim am Rhein, das am Rheinufer Bingen direkt gegenüberliegt, auf die Spuren dieser zu ihrer Zeit durchaus einflussreichen Frau begeben, die bereits vor mehr als 800 Jahren wirkte und dennoch das Denken heute lebender Menschen mit ihren Schriften und besonders ihren Beiträgen zur Heilkunde weiter prägt.

Statue der Hl. Hildegard von Bingen im Innenbereich der Abtei

Das Benediktinerinnenkloster Abtei St. Hildegard liegt oberhalb der Stadt Rüdesheim am Rhein. Die Abtei wurde erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut. Sie geht jedoch auf das von Hildegard von Bingen gegründete Kloster Eibingen zurück. Noch heute leben Nonnen in der Abtei, die ein Gästehaus, ein Klostercafé, eine Vinothek und einen Klosterladen umfasst.

Von der bei Touristen sehr beliebten Stadt Rüdesheim, die durch eine kurze Fährverbindung mit Bingen verbunden ist, lässt sich das Kloster gut zu Fuß erreichen. Ein Besuch in der Abtei kann auch mit einer längeren Wanderung verknüpft werden, beispielsweise auf dem Rheingauer Klostersteig, der die in dieser Gegend dicht gestreuten Kloster miteinander verbindet.

Der Fußweg von Rüdesheim ist bereits sehr sehenswert: unter anderem führt er durch die fruchtbaren Weinberge des Rheingaus oberhalb von Rüdesheim. Der Blick zurück auf Rüdesheim offenbart die ganze Schönheit und Weite dieser malerischen, vom Rhein durchzogenen Gegend.

Nähert man sich dem Kloster aus südwestlicher Richtung, kann man bald sieben kunstvolle Stelen erblicken, die vor den Klostermauern auf dem freien Feld platziert und von den Visionen der Hildegard von Bingen inspiriert wurden.

Durch einen sorgsam gepflegten Garten im Innenbereich der Abtei gelangt man zur Klosterkirche, die auch Besuchern offensteht. Die Kirche beeindruckt mit kunstgeschmückten Wänden, auf denen auch Darstellungen der Hl. Hildegard, von Stationen ihres Lebensweges sowie andere Heilige abgebildet sind.

Unter anderem ist auch eine Abbildung ihres Treffens mit dem legendären Stauferkaiser Friedrich I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, auch unter dem Namen „Barbarossa“ bekannt, zu finden.

Hinter dem Altar der Kirche schmückt eine großflächige Darstellung von Jesus Christus die reich verzierte Rückwand der Kirche:

Im Inneren der Klosterkirche

Aus dem Garten vor der Kirche bietet sich eine wunderschöne Aussicht auf den Rhein und die umliegende Landschaft. Die Atmosphäre ist still, geradezu meditativ, obwohl das Kloster an diesem sonnigen Sonntag eine Vielzahl an Besuchern anlockt. Der Ort verströmt Harmonie und Ruhe, die zum Verweilen einladen. Die Zeit verstreicht hier wie im Fluge, obwohl sie beinahe stillzustehen scheint.

Wer auf der Suche nach Souvenirs ist, trifft im Klosterladen auf ein breites Angebot: Hier können Besucher aus einer Vielzahl von Büchern zu Spiritualität, Religion und Geschichte, aber auch anderen Themen, auswählen oder Wein, Kräuter und andere Lebensmittel erwerben. Zudem werden allerlei christliche und spirituelle Kunstgegenstände, teils von den Benediktinerinnen selbst gefertigt, angeboten.

Auf dem Fußweg zurück nach Rüdesheim spaziert man mit Panoramablick auf den Rhein, der im Tal liegt und daher gut zu sehen ist. Der Weg ins touristische Herz von Rüdesheim führt durch die Weinberge zwischen der Stadt und der Abtei – eine geradezu idyllische Landschaft. Zurück bleiben reichhaltige Eindrücke.

Blick auf die Abtei aus südwestlicher Richtung

Hildegard von Bingen fasziniert viele Menschen noch heute. Ihre Geschichte entspricht nicht unbedingt dem modernen Klischee einer Nonne – nicht zuletzt hinterließ sie eine bildhafte Beschreibung des weiblichen Orgasmus in schriftlicher Form. Sie trat zu ihrer Zeit als einflussreiche Frau in Erscheinung, die sogar in Verbindung und im Austausch mit dem Papst und dem Kaiser stand, befasste sich intensiv mit der Heilkunde und studierte die den Pflanzen und Lebensmitteln innewohnende Heilkraft. Wenige Jahrhunderte später wäre sie aufgrund ihrer Interessen und ihres Wirkens womöglich von ihrer eigenen Kirche als Hexe verfolgt worden.

Aus ihren wortgewaltig und bildhaft übermittelten Visionen lassen sich eine tiefe Hingabe an den Glauben, eine hohe Empfänglichkeit für Übersinnliches und ein bildreiches Innenleben erahnen. Die Eindrücklichkeit ihrer Visionen warf schon zu Lebzeiten die Frage nach einer möglichen Besessenheit auf. Allerdings erhielt Hildegard von Bingen zu ihrer Zeit einflussreiche Unterstützung, neben Papst und Kaiser auch durch den mächtigen Kirchenmann Bernhard von Clairvaux, und fand Anerkennung als echte Seherin.

Im Jahr 2012 wurde sie schließlich von Papst Benedikt XVI. heiliggesprochen und später im selben Jahr zur Kirchenlehrerin erhoben. Heute geben überlieferte historische Details und die Schriften der Hildegard von Bingen Aufschluss über ihre Person und Einblicke in ihr Wirken. Ihre Texte ermöglichen einen Zugang zur Welt ihrer Gedanken und inneren Bilder. Daher bleibt das letzte Wort Hildegard von Bingen selbst vorbehalten, da hier nochmals die Intensität und auch Radikalität deutlich wird, mit der sie sich in ihren Schriften auszudrücken vermochte:

„Die Gestalt zertritt mit ihren Füßen ein schauerliches Ungetüm von giftig schwarzer Farbe mitsamt einer Schlange. Denn die wahre Liebe zertritt durch die Fußspur des Gottessohnes alles Unrecht mit seinen Verdrehungen in den zahlreichen Lastern der Zwietracht, so schrecklich in seiner Unnatur, so giftig in seiner Verführung, so schwarz in seiner Verlorenheit, und vernichtet damit die alte Schlange, die den Gläubigen auflauert.“

– Hildegard von Bingen

Aus: De operatione dei

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