Bemerkungen und Hinweise

Die Lehre von den Chakren fand im Westen in den vergangenen Jahrzehnten im Zuge der Popularisierung östlicher Yoga- und Meditationspraktiken wachsende Verbreitung. Als maßgeblich für diese Entwicklung kann der Einfluss indischer und tibetischer Lehren gesehen werden, die seit Ende des 19. Jahrhunderts vermehrt Einzug in das westliche Denken hielten, unter anderem durch die Wirkung theosophischer und anthroposophischer Strömungen.
Die Chakrenlehre erscheint in der westlichen Geistesgeschichte jedoch bereits vor dem 19. Jahrhundert, wenn auch unter anderen Namen. Beispielsweise finden sich in den mehrere Jahrhunderte zuvor verfassten Schriften der deutschen Mystiker Jakob Böhme (1575-1624) und Johann Georg Gichtel (1638-1710) Ideen und Darstellungen, die Parallelen zu der östlichen Lehre von den Chakren, wie sie heute auch im Westen vermittelt wird, aufweisen. (Vgl. die obige Abbildung aus Gichtel’s Werk „Theosophia practica“, 1736)
Eine ausführliche Erläuterung dieses vielschichtigen Themas würde den Rahmen sprengen. Hier seien lediglich kurze Anmerkungen gegeben, die einzelne Aspekte behandeln und als Impuls für eigene Nachforschungen dienen können. Ein grundlegendes Wissen über die Chakrenlehre wird für das Verständnis vorausgesetzt.
Die Chakren sind entsprechend der aufrechten Haltung der Wirbelsäule in einer vertikalen Kette angeordnet. Diese lineare Anordnung kann den Eindruck erwecken, dass dadurch eine allgemeine Wertigkeit angezeigt wird – je höher, im Sinne von „der Erde ferner“, desto besser. Dem entgegen steht jedoch die oftmals nicht beachtete Tatsache, dass die Chakren auch paarweise betrachtet werden.
Die drei Paare sind das 1. und 7., das 2. und 6. sowie das 3. und 5. Chakra. Ordnet man die Chakren den sieben Planeten der klassischen Astrologie zu, entsprechend der chaldäischen Planetenreihung wie in Gichtel’s Illustration (Mond – Merkur – Venus – Sonne – Mars – Jupiter – Saturn), erhält man zusätzlich drei Planetenpaare. Dabei spielt es für die entstehenden Paare keine Rolle, ob man diese Zuordnung von unten oder von oben beginnend vornimmt.
Die beiden Teile eines jeden Chakra-Paares sind als korrespondierend zu betrachten. Bemerkenswert ist die Art der Paarbildung: Sie erfolgt gleichsam in konzentrischen Kreisen, um das 4. Chakra herum. Dabei werden beispielsweise das in vertikaler Richtung am höchsten und das am niedrigsten gelegene Chakra einander zugeordnet. Es lohnt sich, diese Art der Paarbildung und ihre Implikationen zu durchdenken. Interessant ist, dass sich die Paare ebenfalls aus der in Gichtel’s obiger Abbildung enthaltenen Spiralform ableiten lassen, bei der eine sich aus dem Herzchakra heraus nach außen entfaltende Spirale die Chakren entsprechend verbindet.

Aus der beschriebenen Zuordnung ergibt sich unter anderem, dass das sogenannte Herzchakra, das als 4. Chakra mittig zwischen den drei unteren und den drei oberen Chakren verortet wird, als einziges der sieben Chakren keinen Partner hat. In dieser Betrachtungsweise nimmt es folglich eine besondere Stellung ein. Das mittlere Chakra kann schon alleine aufgrund der Anschauung sowohl als Grenze als auch als Brücke zwischen den Polen „Oben“ und „Unten“ gesehen werden, die jeweils durch die drei unteren und oberen Chakren repräsentiert werden.
Dies legt nahe, wie wichtig es in seiner vermittelnden Rolle zwischen diesen beiden Polen ist. Zugleich ist dies ein Hinweis, dass Ganzheit nur über das Herzchakra zu erreichen ist. An das zuvor Gesagte anknüpfend, kann es auch als analog zum Menschen selbst betrachtet werden, der in seiner Eigenart als Bindeglied zwischen Oben und Unten, Himmel und Erde, erscheint.
Abschließend sei auf einen weiteren, aufschlussreichen Punkt hingewiesen, nämlich die in älteren Schriften verschiedener Autoren, wie beispielsweise Gichtel’s „Theosophia practica“, angedeutete Verbindung des Herzens(-chakras) mit der Sonne und mit Christus, wie sie auch in der katholischen Herz-Jesu-Verehrung ihren Ausdruck findet, die bereits im Mittelalter von Mystikerinnen wie Mechthild von Magdeburg vorweggenommen wurde.
Der erste Freitag im Monat gilt in der katholischen Kirche traditionell als Herz-Jesu-Freitag, während der ganze Monat Juni dem „Heiligsten Herzen Jesu“ geweiht ist. Am dritten Freitag nach Pfingsten wird hingegen das Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu gefeiert. Das Fest fällt in diesem Jahr auf den 24.06.2022 und daher bemerkenswerter Weise mit dem Johannistag zusammen, an welchem die Geburt Johannes‘ des Täufers gefeiert wird.

Text © Michael Metzger, 2022. Alle Rechte vorbehalten.
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